Quo Vadis fabricatio?
Mein persönliches Highlight waren die Jahre ab 2010. Auf so manchem Zeitschriften-Titel war ein riesiges Loch zwischen der 0 und der 1 zu sehen. Medienübergreifend trat zutage, dass das Kerning bei allen Software-Varianten versagte. Jedem gelernten Schriftsetzer und jedem typografisch geschulten Designer aus meiner Generation hat es körperliches Unbehagen bereitet, diese Headlines anschauen zu müssen und tut es noch. Keiner kam auf die Idee, die Spationierung manuell anzugleichen. Ist eben so, wenn man es eintippt!
Einfach „eintippen“ war früher ein langer Prozess.
Aber „eintippen“ war früher ein langer Prozess. Nicht umsonst gab es die Trennung zwischen Grafiker, Schriftsetzer und Druckvorlagenhersteller, denn jedes Gewerk hatte seine ganz eigenen Gesetze und Regeln (die oft in regen Diskussionen aufeinander prallten). Heute gibt es nur den einen Grafiker, der alles undiskutiert zusammenbastelt und in einen selbstgesteuerten Druckprozess einspeist. Am Ende kommt das raus, was vorne an Know-Why reingesteckt wurde. Und das ist leider nicht mehr viel.
Know-Why ist gerade heute immens wichtig, denn jede Grafik-Software transformiert vormals manuelle Prozesse in digitale. Die Grundlagen aber werden von vielen jungen Kollegen unreflektiert übernommen. Warum sind Hilfslinien seit Pagemaker voreingestellt hellblau? Warum werden Alphakanäle in Photoshop rot dargestellt? Woher kommt das Konzept befüllbarer Text- und Bildrahmen in Indesign? Die alten Hasen wissen die Antworten, die Jungen arbeiten damit. Ist eben so, wenn man es eintippt.
Die Branche ist voller Spezialisten.
Im Gegensatz zu den ausgestorbenen handwerklichen Grafik-Berufszweigen bilden sich in den „neuen” Märkten mittlerweile unverständlich viele Spezialisierungen aus. Web-UI, Web-UX, SEO und Analyse, App-UI, App-UX, SoMe, Motion und so weiter. Die Berücksichtigung all dieser Aspekte ist wichtig und in diesen Kommunikations-Kanälen notwendig, dennoch stellt sich mir die Frage, wer all diese Spezialisierungen jetzt und in Zukunft zu einem sinnvollen Gesamtergebnis zusammenführen soll. Man stelle sich mal vor, dass der Klempnermeister auf der Baustelle 6 Leute koordinieren muss. Ein Spezialist stemmt die Wand auf, einer hält das Rohr, ein anderer hält die Zange. Dann kommt ein weiterer Spezialist und dreht das Rohr in der Zange um dann dem Nächsten zu sagen, dass er jetzt das Rohr-Verbindungsstück setzen kann um dann abschließend jemand zu holen, der die Wand wieder zu macht. Alle müssen den Plan kennen, alle müssen gebrieft werden und immer hört einer nicht genau zu. Reibungsverluste und verpasste Deadlines sind damit vorprogrammiert.
Ich mache alles! Aber alles ist heute nichts.
Und damit schließt sich der Kreis: Alte Freelance-Designer haben oft ein Problem mit ihrer Sebstdarstellung. Für den Kunden arbeiten sie eine saubere USP heraus, für sich selbst aber zweifeln sie: Was passiert, wenn ich mich zu spezialisiert darstelle? Vielleicht entgeht mir ein Job, vielleicht werde ich gar nicht erst angefragt? Und so habe auch ich früher den Fehler gemacht, auf die Frage nach meinem Tätigkeitsfeld zu antworten: Alles. Alles ist aber leider nichts.
Heute weiß ich es besser und seit langem lautet meine Antwort: Konzept, Führung und Koordination.
Fazit: Totgeglaubte leben länger. Meine Generation hat noch Freisteller mit Pinsel und Erdfarbe erstellt. Wir haben noch Satzfahnen geklebt oder Bleisatz gelernt, haben noch Raster im Säurebad geöffnet und wissen, was am Ende zählt. Wir werden gebraucht, um Projekte ganzheitlich zu führen. Unsere Spezialität ist Erfahrung!